Interview „Man braucht Einschnitte im Leben“ | Morgen 4/14

morgen_teaserVom kommunistischen Rumänien über Italien an die Wiener Staatsoper: Die Lebensgeschichte von Ildikó Raimondi ist reich an Ereignissen. Ein Porträt der bewährten Sopranistin, die sich immer noch neue Herausforderungen sucht.

Und dann geschieht etwas in diesem Gesicht. Man meint, dass ein Wetterwechsel darin stattfindet. Als würde eine dünne Wolkenschicht reißen und, ganz allmählich, die Sonne zum Vorschein kommen. Ja, jetzt strahlt Ikdikó Raimondi. Hell wie ihr Haar, leuchtend wie ihr Sommerkleid. „Ich bin schon so lange da..“, hat sie vorhin begonnen, jetzt setzt sie fort: „… und ich bin wahnsinnig glücklich. Ich habe mich wie eine Schneekönigin gefreut, als ich in dieser Saison noch einmal die Marzelline singen konnte.“

Dazu muss man wissen: Diese Marzelline ist ein junges Mädchen in Beethovens „Fidelio“ – Raimondi aber schon deutlich lebensreifer. 23 Jahre arbeitet sie jetzt schon an der Wiener Staatsoper, vor zehn Jahren ist sie zur Kammersängerin geadelt worden. Und doch: Als es in der vergangenen Saison eine Marzelline zu finden galt, fiel die Wahl noch einmal auf die bewährte Ensemblekraft. Für Raimondi kam es nicht unverdient: „Ich konnte die lyrische Farbe meiner Stummer halten, weil ich sie nie überstrapaziert habe, und ich habe immer auf meine Linie geachtet. Mit 51 noch einmal diese Rolle – das ist etwas Wunderbares, und es sollte auch meinen Kolleginnen Mut machen.“ Die würden ja immer noch etwas kritischer betrachtet als die Männer auf der Opernbühne, meint Raimondi: „Wenn ein ‚Rigoletto‘-Herzog Ende 50 ist, wundert das keinen. Aber wenn eine Waltraud Meier die Leonore singt, halten das alle für eine große Ausnahme. Die Bühne ist eine Zauberwelt. Man sollte nicht auf das Geburtsdatum achten, sondern auf den Menschen, der da vorne singt.!

ROCKSÄNGERIN IN LEDERKLUFT. Am Bühnenzauber hat Raimondi früh Gefallen gefunden. Dass sie an der Oper reüssieren würde, stellte sich aber erst allmählich heraus. Geboren in einem ungarischen Dorf am Westzipfel Rumäniens, besucht sie ab elf ein Musikgymnasium in der nahen Stadt Arad, ihr Hauptfach ist bald Gesang. Die Opernabende in Rumänien wirken auf den Teenager jedoch altbacken. „Ich hab dann in der Schulband gesungen. Mit 17., 18. war ich schon in einer größeren Band, wir haben Tourneen gemacht.“ Raimondi schmunzelt: „Ich hatte schwarz geschminkte Augen und trug die obligate Lederkleidung.“ Vor der Matura ändert sich dann aber etwas. Die Magie der Oper wächst – oder besser gesagt, jene des Rockzirkus schwindet. „Mir hat dieser Lebensstil nicht gefallen. Die lauten Konzerte, dazu der viele Rauch und der Alkohol.“ Kleine Zwischenfrage: Hat sich die Opernwelt später wirklich als gesitteter erwiesen? Im Vergleich, sagt Raimondi, seien die Klassiksänger ein „ziemlich cleanes Völkchen“. Aber: „Dann kam ich in den Westen und habe erfahren, dass auch eine Opernregie sehr gewagt sein kann.“

Aber der der Reihe nach. Raimondi schließt also das Musikgymnasium ab, auf dem Diplom steht das Wort „Choristen“. Raimondi will aber Solistin sein. Dazu muss sie aufs Konservatorium – doch das erweist sich als uneinnehmbare Festung. „Es gab hunderte Bewerber, aber gerade einmal zwei, drei Plätze.“ Der Grund: Im Kommunismus werden nur so viele Studenten aufgenommen, wie es dem offiziellen Stellenbedarf entspricht. Raimondi, sie heißt damals noch Ildikó Szabo, weicht in die DDR aus. „Die hatten unglaublich viele kleinere und mittlere Opernhäuser. Das Land wollte damit auch zeigen, dass es Kultur hat. Die Arbeiter sind mit Bussen zu den Vorstellungen gebracht worden. Sie mussten kommen, aber sie taten es auch gern.“ Die „Großen Sängerlieferanten“ für diesen Prestigebetrieb sind Bulgarien und Rumänien – damit kommt Raimondi zu einem Job. Sie singt in Chemnitz ihre erst Solorolle, in Dresden folgt das Debüt als Patina. Drei Jahre lang ackert das nachuchstalent im deutsche Arbeiterstaat; 1986 – nur wenige Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, von dem Raimondi natürlich nichts ahnen kann – folgt der Schritt in den Westen.

RAIMONDI, DAS FAHRRAD: Was damals natürlich nicht einfach ist. In Raimonds Fall hilft das Liebesleben. Schon als Schülerin hat sie „einen wahnsinnig netten Italiener“ kennengelernt, nun will das Paar heiraten. Doch dafür muss Vater Staat grünes Licht geben. Ein Jahr lässt er sich zeit, die Antragstellerin ist nervös: „Ich wäre abgestempelt gewesen, wenn ich keine Genehmigung erhalten hätte.“ Aber dann kommt sie doch. Das Paar heiratet und darf nach Italien ausreisen, wo der Ehemann ein Geschäft mit Fahrrädern betreibt. „Die hat er selbst produziert, diese Raimondi-Räder waren sehr gut.“Bald darauf kommt das erste Kind zu Welt, die Jungmutter bleibt aber beruflich am ball. Das soll sich lohnen. 1988 gewinnt sie den Belvedere-Wettbewerb der Wiener Kammeroper in der Kategorie Operette, das Haus nimmt sie unter Vertrag. Ein Segen, aber auch ein problem: „Die Italiener verstanden das nicht: Gerade erst bin ich gekommen, jetzt will ich wieder weg…Man verliert so viel Lebenszeit mit dem Ausfüllen dummer Formulare. Wer das erlebt hat, weiß die offenen Grenzen in der EU wirklich zu schätzen!“

Nach etlichen Amtsgängen ist der Reisewille aber durchgesetzt. Raimondi beginnt also in dem kleinen Haus am Fleischmarkt, das damals noch der Impresario Hans Gabor führt. Dem gelingt ein veritabler Coup, als er George Tabori für die Regie des „Kaisers von Atlantis“ gewinnt – Viktor Bullmanns Oper aus dem KZ Theresienstadt. Raimondi ist bei der Neuproduktion dabei: „Ich habe so viel vergessen, was später kam, aber das ist mir geite noch wie ein Film in Erinnerung: Wir waren ein junges Sängerteam, Tabori wirkte schon damals wie ein zerbrechlicher, alter Mann. Aber er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung. In der ersten Probe sah er uns an und sagte: ‚Mein Gott Kinder, ihr seid alle so jung. Es geht hier um so tiefe Gefühle – das könnt ihr noch gar nicht spielen.‘ Da waren wir ziemlich beleidigt. Später bat er uns, still zu sein und uns an etwas Schreckliches zu erinnern. Ich weiß noch, wie ich dagesessen bin – und nichts gefunden habe. Da verstand ich, was er meinte. Überhaupt – je mehr ich darüber nachgedacht habe im Laufe der Jahrzehnte, desto besser verstehe ich Tabori. mMan braucht Einschnitte im Leben, Schmerzen und Zweifel, um zu einer gewissen Tiefe zu gelangen.“

„BRENNEN WIE EINE KERZE“. Aber zurück zu Raimonds jungen Jahren. Da kann sie weiterhin nicht klagen. Die Wahl-Wienerin wechselt von der Kammeroper an die Volksoper, von dort aus dann im gleitenden Übergang an die Staatsoper. Die Grenzen zwischen den beiden Bühnen stehen gewissermaßen offen, weil sie gemeinsam von Ioan Holender und Eberhard Wächter geleitet werden. Von dieser Doppel-Direktion stammt auch ein Ratschlag: Die Sopranistin möge doch bitte das „Szabo“ aus ihrem Künstlernamen streichen. „Ildikó Raimondi“ höre sich besser, nämlich „exotisch“ an. Raimondi kürzt also ihren Namen, das Repertoire wächst zugleich: Sie mutiert an der Volksoper zur Operettendiva. „Das hat mich sehr gefreut, aber auch überrascht. Ich war noch wahnsinnig jung und durfte gleich Rollen wie die Hanna Glawari spielen.“ Auch an der Mozartfront gibt es bald viel zu tun: Patina, Barbarin, Susanna,.. Wenn Not am Mann ist, singt sie die Letztere sogar parallel an beiden Bundestheatern. heute kann die zweifache Mutter, in zweiter Ehe mit dem Germanisten Herbert Zeman verheiratet, auf mehr als 40 Rollen an der Staatsoper zurückblicken: von der Klassik über Puccini-Figuren und leichtere Wagner-Partien bis zur Moderne.
Natürlich: Als Ensemblemitglied des operettenarmen Hauses verkörpert sie heute (abgesehen von einer erstaunlichen „Fledermaus“-Präsenz) kaum noch walzerselige Figuren. Und weil naturgemäß viele junge Sängerinnen nachrücken, ist Raimondi in der „Zauberflöte“ nun statt der Patina eher die Erste Dame. Das Repertoire der 51-Jährigen, die auch gern unterrichtet, wächst aber immer noch an. Und das nicht nur auf der Opernbühne, sondern auch im Konzertsaal, den sie seit jeher für kreative Ausflüge nützt. Rund 160 Mal ist Raimondi allein im Wiener Musikverein aufgetreten, wo sie im nächsten har ei Stück von Friedrich Cerha aus der taufe heben wird. Doch auch der Operette hält sie im Konzertsaal die Treue. Und natürlich dem klassischen Kunstlied. Dem zollt sie zum Beispiel am 21. September in der Synagoge Baden Tribut, bei einem Serenadenkonzert des Landes Niederösterreich mit dem tenor Herbert Lippert und dem Pianist Eduard Kutrowatz.
Kurz: Das Leben der Ildikó Raimondi ist ein vielseitiges, aber auch anstrengendes. „Wir Sänger“, sagt sie, „verbrennen uns wie eine Kerze an beiden Seiten. Einerseits müssen wir immer weiterlernen, andererseits darauf achten, dass die Stimme frisch bleibt.“ Aber wenn das gelingt – nun, dann kann man im Glücksfall auch noch mit 51 die Marzelline singen.

Text: Christoph Irrgeher, Foto: Nadja Meister